Redebeitrag zur GEAS-Reform bei der Demo der Seebrücke HD am 20.06.23

  1. Was bedeutet die GEAS-Reform konkret für Menschen auf der Flucht?

Dazu möchten wir zunächst die grausame Fluchtroute, die viele Menschen aus beispielsweise West- und Ostafrika auf sich nehmen müssen, skizzieren: Menschen sind gezwungen, ihr Zuhause, ihr vertrautes Umfeld zu verlassen. Die Fluchtursachen werden dabei mehrheitlich durch den globalen Norden ausgelöst. Kriege werden mit den Waffen geführt, die Deutschland zum Exportweltmeister machen. Dürren und Überflutungen sind direkte Folgen von deutschem Kohleabbau. Unser kompletter Lebensstandard fußt auf der Beraubung und Ausbeutung der Menschen im globalen Süden. Menschen fliehen hiervor mit dem Ziel, dem Leid durch Krieg, Hunger und Ausbeutung zu entkommen. Dabei schaffen manche von den flüchtenden Menschen es, tausende Kilometer unter sehr prekären Umständen hinter sich zu legen, um dann in einem der vielen Foltercamps zum Beispiel in Lybien zu landen. Daraufhin entkommen einige wenige diesen Folter- und Zwangsarbeitsstätten, um über das Mittelmeer um ihr Leben zu schwimmen. Diejenigen, die überleben, kommen in Europa an, mit tief eingeschriebenen Traumata in ihren Körpern und Köpfen. Und was passiert in Europa? Sie kommen ins Gefängnis, werden von der Polizei misshandelt, müssen unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern leben – das ist kein Geheimnis, wir wissen von den Verhältnissen auf Lesbos, in Calais, Ventimiglia, Bosnien und in anderen Lagern. Diese Lager sind nicht, wie es immer propagiert wird, als kurzfristiger Aufenthalt gedacht, sie bestehen seit Jahrzehnten und halten die Menschen gezielt zurück.

Bisher war diese gezielte Einknastung und der Entzug des Menschenrechts auf Asyl in Europa illegal. Die GEAS-Reform bedeutet, dass diese Menschenrechtsbrüche jetzt legalisiert sind. Flüchtende Menschen, darunter auch Kinder, haben nun in Europa faktisch kein Recht mehr auf ein sicheres Leben. Und um die Perversität dieser Reform noch zu steigern, können schutzsuchende Menschen ohne Zugang zu einem Asylverfahren nun in Staaten, in denen sie noch nie zuvor gewesen sind, abgeschoben werden. Und selbst wer den unfassbar schwierigen Weg beispielsweise bis nach Deutschland schafft, hat es bei weitem nicht geschafft, dem zerstörenden Alltag zu entkommen. Retraumatisierende Asylverfahren, drohende Abschiebungen, rassistische Diskriminierung in vielen Situationen des täglichen Lebens und berechtigte Angst vor Gewalt von Seiten der Polizei — all das ist, das wissen wir alle, Alltag, rassistischer Normalzustand.

Mit den Neubestimmungen im europäischen Asylverfahren sind die letzten Standards gebrochen, die trotz der steten Aushöhlung des Asylrechts in den letzten Jahrzehnten noch Bestand hatten. Die Reform wird in den nächsten Jahren unglaubliche Gewalt, Tod und Entwürdigung bedeuten. Alleine dieses Jahr sind schon circa 2000 Menschen bei ihrer Flucht über das Mittelmeer ertrunken. Und damit ist nur eine Route von den vielen benannt, die tödlich endet. Alle Fluchtrouten nach Europa werden noch gefährlicher, das Leid an den Grenzen Europas noch größer.

  1. Wie konnte es dazu kommen?

Seit Anfang der 90er wird das Asylrecht in Deutschland immer weiter verschärft. Dabei ist interessant, darauf zu blicken, in welchem gesellschaftlichen Klima es zu diesen Einschneidungen in Grundrechte kam. Denn schon lange vor der GEAS-Reform bestimmen rassistische Denkmuster die deutsche und europäische Asylpolitik. Anfang der 90er begehen Nazis zusammen mit Anwohner*innen in Rostock das größte rassistische Pogrom der deutschen Nachkriegsgeschichte. Dieses Pogrom reiht sich ein in die rassistischen Anschläge Anfang der 90er in Solingen, Hoyerswerda, Mölln oder Mannheim-Schönau. Der Staat schaut zu, hilft wie in Solingen teilweise mit und reagiert in den Parlamenten, indem er 1993 das Grundrecht auf Asyl massiv einschränkt. Die historische Kontinuität ist: rechte Kräft sind auf dem Vormarsch, die Regierung ist Teil davon. Außerdem haben wir in der Geschichte auch gesehen, dass Asylgesetze trotz verschiedener Parteien an der Macht in Deutschland stetig weiter verschärft werden.

Auch die menschenunwürdige GEAS-Reform setzen nicht die neofaschistische AfD und die rechte CDU durch, sondern die SPD, FDP und die Grünen. In den letzten Tagen haben grüne und sozialdemokratische Spitzenpolitiker*innen versucht, diese Reform durch Falschinformationen als „solidarische“ Lösung zu kennzeichnen. Dieser zynische Versuch, der eigenen rassistischen Politik einen humanitären Anstrich zu verleihen, ekelt uns an! Das Ganze zeigt uns außerdem erneut: wir können uns auf die herrschenden Parteien nicht verlassen! Jedoch sind es auch nicht einzelne Politikerinnen oder Faschist*innen, durch die es zu jenen menschenverachtenden Zuständen an den Außengrenzen kam. Wir leben in einem System, das ohne zutiefst ungerechte Macht- und Ressourcenverteilung entlang von Grenzen nicht existieren kann. Dabei ist genug für uns alle da, nur die Reichen können wir uns nicht leisten.

So sehr es nach Irrsinn ausschaut, dahinter steht ein logisches Denken basierend auf Grenzen. Ein Denken das ein -Wir- gegen -die Anderen- befeuert. Ein Denken, das besagt: Du dort, ich hier. Mit dieser Logik wirken Grenzen, Abschottung, Konkurrenz und Volksgemeinschaften auf uns natürlich. Diese Logik macht Nationen und Nationalitäten, Reisepässe und Visa, Waffenexporte und Profitmaximierung zu einer Selbstverständlichkeit. Es soll selbstverständlich sein, dass ein Strich auf der Landkarte darüber entscheidet, ob Menschen, die um ihr Leben schwimmen, sterben gelassen werden oder nicht. Daher gilt es für uns endlich zu begreifen, wie zufällig es ist, wo wir geboren sind, und wie zutiefst ungerecht es ist, dass manche Menschen alles besitzen und andere nichts. Grenzen und Nationen sind zerstörerisch, sie zementieren Ungerechtigkeit und Rassismus.
Wir haben also gesehen, dass es wenig Unterschied macht, was wir wählen: Das System, in dem wir leben, kann nicht ohne Menschenrechtsbrüche bestehen — egal mit welcher Regierung.

  1. Was können wir dagegen tun?

Wir können uns gemeinsam solidarisch organisieren! Die Machtlosigkeit, die viele von uns dem Ganzen gegenüber fühlen, ist politisch gewollt. Wenn es möglich ist, ausbeuterische Kapitalinteressen als unantastbar, als naturgegeben zu präsentieren, dann bietet diese Unantastbarkeit eine sehr gute Grundlage dafür, Widerstand unsichtbar zu machen. Aber wir sind hier, es gibt Widerstand. Und dieser Widerstand kann nicht hier auf einer Demo stehenbleiben. Es geht um tausende Menschenleben, es geht darum, in welcher Welt wir leben wollen. Unsere Antwort auf den rassistischen Normalzustand muss lauten: solidarische Strukturen aufbauen, die ungerechte Verteilung des Reichtums angreifen und die Festung Europa einreißen. Also organisiert euch, ob in der interventionistischen Linken, bei der Seebrücke oder in anderen Gruppen. Lasst uns gemeinsame die falsche Logik dieses Systems entblößen und so der Unantastbarkeit des Systems Kratzer verleihen.

Trotz alledem gibt es uns Hoffnung, dass wir in den letzten Wochen europaweit mit vielen Menschen und Gruppen gemeinsam auf der Straße sind und bleiben. Wir hoffen deshalb, dass wir heute nicht das letzte Mal mit euch gegen diese Politik auf der Straße sind. Lasst uns uns weiterhin und so lange wie nötig gemeinsam gegen die rassistische Asylpolitik der EU stellen! Lasst uns dabei nicht vergessen: Diese Zustände sind von Menschen konstruiert! Und das bedeutet, sie können auch von Menschen verändert werden!
In diesem Sinne: Solidarität mit allen Menschen, die sich auf der Flucht befinden!

We are here and we will fight – freedom of movement is everybody’s right!

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